Digitale Transformation… zu was denn eigentlich?
Die digitale Transformation bleibt nach Jahren ein schwer zu greifender Begriff. Er löst keine Begeisterungsstürme aus und führt zu sehr unterschiedlichen Projekten. Wie kommt das? Und warum stört mich der Begriff?
In meinem ersten Studium stieß ich auf ein altes Buch: Die fünfte Disziplin : Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Jahre später fand ich dieses Buch wieder – im Regal meiner Mutter. Da stand es schon lange vor meinem Studium. Es wurde von Peter Senge 1990 zum ersten Mal veröffentlicht. In diesem Buch steht ein großer Teil der Ideen, die heute als digitale Transformation verkauft werden, ohne den technologischen Zuckerguss. Sprich: Die große Mehrheit der Unternehmen hat dieses Wissen mindestens 27 Jahre lang nicht ernst genommen und seitdem die Arbeit an sich selbst versäumt.
Heute möchte man aber ganz schnell digital werden. Das der Begriff digital gerade sexy ist, liegt daran, dass Softwareentwicklung gerade sexy ist. Aus der Softwareentwicklung kommt auch der Begriff technical debt.
Organizational Debt
Behebt man grundlegende Probleme nicht, sondern umgeht sie jahrelang mit Hilfskonstruktionen, häuft man einen Schuldenberg an. Dieser Schuldenberg muss abgearbeitet werden, wenn man das Problem nicht länger umgehen kann. Entweder wirft man dann die Software weg, arbeitet den ganzen Code von hinten auf oder ändert die Struktur grundlegend. Diese Optionen sind alle sehr teuer.
Das ist eine grundlegende Problemstellung, die der digitalen Transformation untergeschoben wird: nicht-digitale Versäumnisse aufzuholen. Diese Versäumnisse sind in der Regel nämlich organisatorischer, kultureller und struktureller Natur.
Die digitale Modernisierung eines Unternehmens wäre allein ein vergleichbar überschaubares Projekt im Vergleich zu dem Hau-ruck-Abbau von Organisationsschulden, den eine digitale Transformation für ihren Erfolg voraussetzt.
Organisationen lernen schlicht kaum dazu und so findet man sich bald auf den Spuren alter Fehler.
Wieder nichts gelernt
Von Toyota wollte sich die deutsche Industrie Kanban und Kaizen abgucken. Man hat fremde Methoden kopiert, die zugehörige Kultur nicht verstanden und an der eigenen wollte man nicht arbeiten. Jetzt kann man beobachten, dass sich der damalige Fehler wiederholt. Deshalb steht jetzt ein Kicker in der Kantine, den nie jemand benutzt.
Schnell Transformieren und weiter wie bisher scheint die Hoffnung der Führungsetagen. Die nächste Reorganisation ist ein Schreckgespenst in großen deutschen Konzernen. Es gab viele davon und die Angestellten haben gelernt, dass sie anstrengend sind und wenig besser machen. Das Imageproblem der digitalen Transformation ist selbst geschaffen, bevor man überhaupt über Potential reden kann.
Kritik der digitalen Transformation: Fehlende Nachhaltigkeit
In einigen Unternehmen ist durchaus die Erkenntnis gewachsen, dass die Digitalisierung ein Anlass ist, Strukturen und Methoden ganz grundsätzlich zu ändern. Ich würde den Begriff der digitalen Transformation deshalb gerne meiden. Er weckt falsche Assoziationen, weil er das Ziel falsch benennt. Digital ist nicht synonym mit agil, was einer sinnvollen Vision schon deutlich näher kommt. Eine agile Organisation ist sicher eine nachhaltigere als eine digitale Organisation. Aber Agilität wäre als Vision zu kurz gegriffen. Ich glaube, dass hier ein der richtige Schritt vorwärts eine Vision ist, die wir übersprungen haben.
Vielleicht wollen wir lieber in einer lernenden Organisation arbeiten
Die lernende Organisation beschrieb 1990 schon Qualitäten, die man sich heute von der einer digitalen Transformation erhofft: Vernetzung, Resilienz, geteilte Vision, Exzellenz (Personal Mastery) und ich behaupte: sogar Prototyping. All das ist heute noch wichtiger als damals und kaum eine dieser Qualitäten ist in den meisten Unternehmen realisiert. Wir haben heute aber bessere Mittel, eine Organisation zu schaffen, die ständig lernt und sich anpasst.
Die Vision ist eine Veränderung als laufender Entwicklungsprozess. Das bedeutet für Mitarbeiter, laufend gefördert und gefordert zu werden, während Zeit und Raum für eigene Reflektion und Innovation geschaffen wird. Es bedeutet für die Führung, die nötigen Bedingungen zu schaffen und zu erweitern.
Eine lernende Organisation klingt für mich nach etwas, an und in dem ich arbeiten möchte. Das darf auch gerne eine digitale Transformation beinhalten.
Geht es euch auch so? Bin ich auf dem Holzweg? Das interessiert mich. Schreibt mir oder ruft an!