Holacracy – das Versprechen vom Kochrezept für agile Unternehmen

19.01.2017 3 Minuten zum Lesen

Auf dem Barcamp Hamburg 2016 habe ich zum ersten Mal von Holacracy gehört. Holacracy ist ein innovatives, aber für mich etwas schwer verdauliches Organisationsmodell, dass eparo implementiert hat und auf dem Barcamp präsentierte. Letzte Woche gab es bei eparo einen Schreibtischplatz und Neuigkeiten zur Adaption von Holacracy -eine gute Gelegenheit für eine kurze Vorstellung!

Holacracy organisiert Verantwortlichkeiten und Rollen durch in sich verschachtelte Kreise, denen Mitarbeitende beitreten können. Jeder Kreis hat eine verantwortliche Person, den Lead Link. Es gibt also eine Hierarchie in diesem Peer-to-peer-Betriebssystem, wie es sein Erfinder nennt. Angepriesene Vorteile sind erhöhte Transparenz, Verantwortlichkeit, Agilität und laufende Optimierung der Organisationsstruktur. Dazu sollen wiederum transparente Regeln und regelmäßige, straffe Meetings mit harten Regeln führen. In der Theorie wird so Entscheidungsgewalt verteilt und alle Mitarbeiter haben die Möglichkeit, eine Führungsrolle und die zugehörige Entscheidungshoheit einzunehmen. Das klingt soweit verlockend.

Deshalb hat Holacracy vor allem im Silicon Valley einige Fans. Es wurde von Brian Robertson entwickelt, der selbst von der Softwareentwicklung in die Managementberatung gewechselt hat. Und an dieser Stelle entspringt auch Kritik an Holacracy, die Amiee Groth zusammenfasst: Menschen funktionieren nicht wie Software und Unternehmen nicht wie Betriebssysteme. Entsprechend hadert das ehemalige Vorzeige-Unternehmen Zappos nach Jahren immer noch mit der Einführung von Holacracy, deren Dauer auf sechs Jahre prognostiziert ist. Evan Williams, bekannt von twitter und Medium, hat dem System wieder abgeschworen. In den Unternehmen des Silicon Valley fehlt es eher an Empathie als an Bürokratie in Unternehmen, scheint eine Lektion der Early Adopter.

Aus meiner Sicht gibt es aber auch ganz pragmatische Einwände: Die angepriesenen Vorteile können auch mit weniger Aufwand, weniger experimentellen Methoden und ohne die komplette Adaption eines sehr jungen Regelwerks erreicht werden. Verantwortung zu verteilen ist auch in einer klassischen Hierarchie möglich und sinnvoll. Transparenz lässt sich auch ohne Holacracy verbessern und gute, moderne Meetingformate gibt es auch ohne den Umstieg auf eine neue Struktur. Auch Agilität braucht kein Peer-to-peer-Betriebssystem, sondern eine bedachte Entwicklung vorhandener Strukturen. Eine laufende Überprüfung der Organisationsstruktur sowie eine daraus folgende Entwicklung in beständigen, kleinen Schritten ist ebenfalls möglich und sinnvoll.

Für wen lohnt die Umstellung auf dieses neue und relativ abstrakte System? Für wen ist sie überhaupt möglich? Meine Erfahrung aus Projekten in KMUs und deutschen Konzernen, die eine entsprechende Geschichte, Struktur und Kultur entwickelt haben sagt: Für diese Unternehmen scheint es mir nicht sinnvoll, sich komplett einem solchen, sehr neuen Konzept hinzugeben und die eigene Struktur danach umzubauen. Für ein Start-Up und ein kleines Unternehmen mag es attraktiv sein, ein neues Konzept zu testen um sich anders aufzustellen als die Konkurrenz oder weniger dynamische, größere Unternehmen. Am Ende würde ich Holacracy vermutlich nur wenigen Unternehmen empfehlen. Generell ist es ohne eine Bedarfsanalyse keine gute Idee, ein unangepasstes Regelwerk zu übernehmen – der Bedarf sollte immer zuerst erfasst werden.

Das bedeutet natürlich nicht, dass Holacracy nicht funktionieren kann. Die UX-Beratung eparo hat gute Voraussetzungen: Sie ist dynamisch, auf charmante Weise unkonventionell und der Fokus auf den Menschen sollte den kritischen Punkten an Holacracy das nötige Kontra geben können. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es dort weitergeht.

Welche Gedanken und Ideen hat der Beitrag bei euch geweckt? Passt Holacracy in euer Unternehmen?