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Rücksturz in die Büros

09.06.2021 6 Minuten zum Lesen

Mit dem nahenden Ende der Corona-Pandemie zeichnen sich zwei klare und gegensätzliche Trends ab: Der Drang zurück ins Büro und die Verteidigung der gewonnen Freiheit und Flexibilität durch das Homeoffice. Im Hintergrund bahnt sich eine Welle von Jobwechseln durch Arbeitnehmende an, die während der Pandemie die Füße still gehalten und nur auf ein stabileres Klima gewartet haben, um eine bessere Arbeitssituation zu finden.

Zurück in die Gegenwart

Der Drang zurück ins Büro ist leicht nachvollziehbar: Die Schulden aus der aufgestauten Digitalisierung wurden plötzlich fällig.

Viele Arbeitnehmende mussten mit behelfsmäßiger und unzureichender Ausrüstung ins Homeoffice, wenn sie denn überhaupt konnten. Preise für mobile Arbeitsgeräte sind explodiert, Lieferzeiten in die Höhe geschnellt. Webcams wurden rares Gut.
Spannend wird es aber auf der menschlichen Seite: Die noch nicht fertig entwickelte Kompetenz zur entfernten Zusammenarbeit wird zum zentralen Schmerz. Mitarbeitende und Führende gleichermaßen sind noch am Anfang, sich die nötigen Fähigkeiten anzueignen. Die Kultur befindet sich am Anfang der Entwicklung.

In Deutschland werden vielerorts Führungskompetenzen noch dahingehend aufgebaut, dass Arbeitnehmende Individuen sind, deren Bedürfnisse an Führung und deren Leistungsvermögen sich unterschiedlich entfaltet. Nun entgleitet Führungskräften plötzlich der direkten räumlichen Zugriff auf ihre Teams. Haben sie ohne Methode und nur frei Nase geführt, stehen sie auf einmal vor einer Herausforderung ganz neuen Ausmaßes. Methoden lassen sich oft gut auf entfernte Zusammenarbeit übertragen - aber mit Zuspruch und Intuition ist es schwieriger. Wer also nur mit Stil geführt hat, hat vermutlich ein sehr starkes Bedürfnis, seine Mitarbeitenden wieder in überschaubare Räumlichkeiten zu bringen. Die (sehr industriell-deutsch geprägte) Presse unterstützt diese Reflexe durch platte Parolen: „Wirtschaftlicher Schaden durch Homeoffice“ und „gesundheitliche Schäden durch Homeoffice“ lauten die Überschriften. Hier werden die falschen Fragen gestellt und die Situation in zu kleinen Ausschnitten betrachtet; als sei der Arbeitsweg die zentrale körperlichen Aktivität des Tages und die Wirtschaft müsse alle Beschäftigten durch das Pendeln zum Büro vor einem Herzinfarkt bewahren. Unternehmen sollten sich zweimal überlegen, ob solche Kampagnen wirklich in ihrem Interesse sind.

In Deutschland gibt es natürlich auch Führungspersonen und Servant Leader, die ihren selbstständig arbeitenden Kollegen Vertrauen entgegenbringen. Bei dieser Speerspitze nehme ich keinen Drang zurück in ein Vollzeit-Büro wahr, aber wenn wir uns ehrlich in die Augen sehen: Es sind in Deutschland leider noch sehr wenige, auch in Tech-Unternehmen. Aber natürlich wollen nicht nur Führungspersonen wieder ins Büro. Das Homeoffice ist für manche so wenig ein Paradies wie das Büro jemals war. Viele Familien freuen sich auf öffnende Schulen und ruhige Orte, um konzentriert arbeiten zu können. Aber auch hier bleibt eine spannende Frage offen: Liegt das Problem vielleicht daran, wie die Arbeit organisiert war, etwa an Führung und kommunizierten Erwartungen und an einer Hau-Ruck-Lösung in der Pandemie?
Das Familie und Arbeit daheim unvereinbar scheint, wenn nicht jeder tagsüber ins Büro kann, lässt mich auch in Verwunderung zurück.

Der Aufstand

Die USA stürmt angetrieben von ihrem Impftempo voraus und die Unternehmen suchen und kommunizieren erste Lösungen für die Rückkehr ins Büro. Das kommt selten richtig gut an: „Remote Work oder Kündigung“ ist keine seltene Antwort. Auch in Deutschland lässt sich diese Haltung erkennen.

Dabei sind die ersten Ansagen der Unternehmen keineswegs Vollzeit-Büro-Modelle. Apple hat intern angekündigt, dass zwei Tage die Woche vor Ort zu arbeiten sei. Die Reaktion der Arbeitnehmenden: Ein interner offener Brief, verfasst von 80 Arbeitnehmenden und unterschrieben von mehr als 2000. Sie finden die Lösung einseitig und unflexibel - sie haben gelernt, dass es anders geht und berichten von Kolleg:innen, die kündigen oder sich darauf vorbereiten.
Apple ist keine Ausnahme - aber bemerkenswert, weil mit dem Verlauf die Pandemie die Kultur der stillen internen Klärung in dem sonst sehr diskreten Unternehmen aufgeweicht ist. Arbeitnehmende haben gelernt, dass öffentliche Diskussion ihren Anliegen und ihrer Unternehmenskultur zuträglich ist. Das ist eine ganz eigene, spannende Herausforderung für die Unternehmensführung.

Nach allem, was ich höre: Unternehmen machen bessere Erfahrungen, wenn sie intern einen offenen Dialog über Arbeit nach der Pandemie geführt haben. Zumindest sofern die Kommunikation authentisch und die unvermeidbaren Umfragen handwerklich gut gemacht waren. Wenn das nicht der Fall war, erzeugten diese Umfragen zum einen viel Frust bei den Befragten und zum anderen schlechte Ergebnissen. Diese Ergebnisse haben dann zu unternehmerischen Fehlplanungen geführt, deren Behebung Zeit- und Energieintensiv war. Mit einiger Ironie war das Resultat in mehr als einer Anekdote ein Mangel an Bürofläche für die in ihr Büro Zurückkehrenden.

Wie es mit der Rückkehr generell aussieht, bleibt auch mit dieser These spannend: Während Krisen nimmt die Veränderungs- und Risikobereitschaft von Menschen ab und sie halten zunächst die Füße still, um Veränderungen für stabilere Zeiten zu planen. Solange es nicht wirklich gute Gründe und Daten gibt, dass eine Dunkelziffer von Fachkräften unzufrieden mit ihrem Unternehmen und dessen Management der Pandemie ist, stehen vielen Unternehmen unerwartete Kündigungen in nicht geringer Menge ins Haus. Es bleibt für Führungsriegen also nur noch sehr wenig Zeit, um unzufriedene Fachkräfte für sich (zurück) zu gewinnen, bevor sie einen anderen Job annehmen. Und natürlich ist das Führungspersonal selbst auch nicht weniger von diesem Effekt betroffen. Die bevorstehende Veränderungsdynamik ist folglich enorm.

Eine neue Hoffnung

Wie navigiert ein Unternehmen diese Entwicklungen am Besten?

Der bekannteste Ansatz zuerst: Das (weiter)entwickeln einer modernen, produktiven Arbeitskultur (da schließe ich Methoden ein) gemeinsam mit allen Arbeitnehmenden. Keine neue Aufgabe, aber es wird jetzt höchste Zeit. Auch sollte verstärkt darauf geachtet werden, dass eine Lösung nicht für alle Arbeitnehmenden gleich gut funktioniert und folglich ein Ergebnis nur gut sein kann, wenn es inklusiv und flexibel ist.
Warum? Niemand ist gerne Opfer von Micromanagement oder Management by Helicopter. Niemand mag eine bedrückende und angstvolle Umgebung, in der Konzentration auf die Arbeit schwer fällt. Eine ruhige, klar strukturierte und vertrauensvolle Umgebung, in der ein sicheres Gefühl vorherrscht und klar kommuniziert wird, führt zu Qualität. Und diese Umgebung muss für verschiedene Menschen Platz bieten, damit Talente sich wohl fühlen und ihre Lebensentwürfe nicht das Unternehmen als Arbeitsstelle disqualifizieren.

Das größte Potential und das größte Risiko vereint sich in der Führung von Menschen. Die stetige Entwicklung allen Führungspersonals kann kaum überstrapaziert werden. In der aktuellen Lage geht es konkret darum, unter den Blickpunkten Motivation, produktiven Arbeitsumgebungen und Werten wie Vertrauen, Qualität und Flexibilität ein Führungsverständnis aufzubauen, dass für unser Jahrhundert tatsächlich trägt. Und dann die nötigen Methoden mit dem Führungspersonal zu entwickeln.
Warum? Zum Beispiel, weil eine Führungskraft viel weniger Sorge darum hat, Motivation zu erzeugen, wenn diese nicht von ihr selbst oder der Arbeitsumgebung vernichtet wird. Das Prinzip kennen wir schon: Kundschaft und Talente zurück gewinnen ist teurer, als sie gar nicht erst zu verlieren. Oder, weil es einfacher ist, Sicherheit und Ruhe auszustrahlen, wenn man sie durch das Vertrauen in die eigene Methode und die gemeinsame Struktur auch wirklich hat.

Last, but not Least: Wir müssen mehr über das Design von Umgebungen reden. Arbeitskultur und Führung sind schon Teile davon, aber Menschen leben und entwickeln sich in Umgebungen. Sie brauchen buchstäblich “Raum zur Entfaltung”. Zum einen Teil ist dieser physisch, aber der Kicker in der Cafeteria macht noch lange keine Firma zum hippen Start-Up und das Großraumbüro ein Fehltritt für die kollektive Konzentration. Zum Anderen wissen wir aus Erfahrung: die Anwesenheit im Büro bedingt nicht gute Arbeitskultur oder Führung. Wie entwickeln wir also eine Umgebung, die in virtuellen und physischen Räumen gute Führung ermöglicht und dazu führt, dass Menschen dort ihre bestmögliche Leistung erbringen können und wollen?

Ich freue mich auf spannende Diskussionen!